Eine kleine feine Karte, dazu ein spektakulärer Ausblick. Rund vier Millionen Euro hat es sich das Darmstädter Modehaus Henschel im vergangenen Jahr kosten lassen, seine bis dahin verwaiste Dachterrasse mit einem Schmuckstück von Restaurant zu krönen. Nach einigen Schwierigkeiten zu Beginn ist das „Obendrüber“ mittlerweile in der ersten Liga der Darmstädter Gastronomie angekommen. Ein Interview von Michael Eder mit Henschel-Geschäftsführer Kai Brune (Foto).

Herr Brune, ein Restaurant gehört nicht gerade zur Kernkompetenz eines Modehauses. Wie kamen Sie auf die Idee, auf der Henschel-Dachterrasse das „Obendrüber“ zu eröffnen?

Da muss ich ein bisschen ausholen. Wir sind das größte Modehaus am Ort und können für den Erhalt der Einkaufskultur in der Innenstadt nur Mittelbares tun. Wir können uns in unterschiedlichen Gremien engagieren, aber letztlich können wir nicht beeinflussen, wer was hier wie vermietet. Wir haben  zum Beispiel den Laden „Gegenüber“ aufgemacht, da war damals von Maredo-Steakhaus bis zum Ein-Euro-Laden  alles Mögliche im Gespräch, da haben wir gesagt, wir gehen da rein. 

Um die Innenstadt attraktiv zu halten?

Ja, aber wir haben auch festgestellt, dass wir für die Attraktivität der Stadt gar nicht viel mehr machen können, wir können ja nicht jede Menge Läden aufmachen, wir können nicht die ganze City bestreiten. Deshalb haben wir als Strategie gesagt, wir müssen mit unserem Haus selbst so attraktiv wie möglich sein, damit sich, ganz  unabhängig von der Innenstadt, ein Besuch bei uns lohnt. Und da spielt das Thema Kulinarik natürlich eine Rolle.

Das ist ein weiter Begriff.

Das kann beim einfachen Espresso anfangen. Wir haben schon vor Jahren mit einem Mini-Café-Konzept angefangen. Das Thema „Obendrüber“ sollte dann ganz bewusst eine Lokalität werden, die uns imagetechnisch in Darmstadt noch einmal auf ein anderes Level hebt.

Sie haben das „Obendrüber“ Anfang Juni vergangenen Jahres er-öffnet. Was hat Sie der Spaß gekostet? 

Das habe ich fast schon verdrängt. Wir haben in der Gesamtsumme etwa vier Millionen Euro investiert. 

Ich war zwei, drei Tage nach der Eröffnung zu Gast im „Obendrüber“…

Uiiuiiuii.

Das war, wie soll ich sagen: auf eine charmante Art chaotisch. Wie schwer war es in den ersten Wochen, den Laden zum Laufen zu bringen, wenn man nicht vom Fach ist? 

Unfassbar schwer. Dass wir nicht vom Fach kamen, das war sicher-lich nicht ideal, ich würde aber mal die Behauptung wagen, dass jedes gastronomische Projekt schwer ist, es sei denn, es geht um Systemgastronomie. Ich habe schon während der Bauphase und der Erarbeitung eines Konzeptes gefragt, müssen wir eigentlich alles neu erfinden? Es muss doch dafür Lösungen geben. Das stimmt, es gibt für alles Einzellösungen, aber aber wenn es dann um die  Verbindung geht von Küche zu Service, wenn es um den  Workflow geht, um Personalplanung, um das Abrechnungssytem, um die Kombination vieler, vieler Dinge, dann wird es kompliziert. Es ist schwer am Anfang, die Standards einzuhalten, die man will.

Wie haben Sie diese ersten Tage überstanden? 

Wir haben das Restaurant am ersten Tag für anderthalb Stunden schließen müssen, weil von unseren zehn Bedienungen acht am Weinen waren, da haben wir gesagt, die müssen jetzt erst mal wieder zur Ruhe kommen. In den ersten drei Wochen, da kann ich mich auch noch lebhaft dran erinnern, hatte ich eine Sechstage-Woche von morgens halb neun bis abends halb zwölf, drei Wochen lang. Ich habe zwei Tage in der Spülküche gestanden, mit der Geschäftsleiterin der Damenabteilung unseres Hauses.

Sie waren auf den Ansturm der Leute nicht wirklich vorbereitet?

Doch, doch, das war uns schon klar, obwohl wir null Werbung gemacht haben. Wir haben ja allein in Darmstadt und Umgebung 65000 aktive Inhaber von Kundenkarten. Viele haben sich während der anderthalb Jahre Bauphase auf die Eröffnung des „Obendrüber“ gefreut. Ich musste damals oft auch den Einlass sortieren, und zum Glück kenne ich viele Leute, so dass dann gewisse Benimmregeln überwiegend eingehalten wurden. Aber es gab auch manche Ausfälle, das muss man ehrlicherweise sagen. 

Noch mal zurück zu den Serviceproblemen zu Beginn – sie fielen deshalb besonders auf, weil die Servicequalität ein paar Meter weiter im Modehaus – ich sage das, ohne Ihnen schmeicheln zu wollen – auf einem ausgezeichneten Niveau ist. Wie haben Sie das hinbekommen?

Vielen Dank. Ich glaube, das sind zwei Bausteine. Das eine ist: Wir haben natürlich externe Schulungspartner. Das andere ist Vorleben. Ich bin jetzt seit 17 Jahren im Unternehmen und die ganze Führungscrew – Einkäufer und Geschäftsleiter – ist im Wesentlichen ähnlich lange dabei.  Wir legen Wert auf eine sympathische Führungskultur, wir sind so etwas wie fast befreundet, und das merkt man in einem Unternehmen. Wenn der Chef sich im Treppenhaus  nach einem Papierfitzel bückt, dann ist  die Chance, dass das auch der Mitarbeiter macht, ungleich höher, als wenn er sagt, dafür bin ich nicht zuständig. 

Lässt sich diese Servicequalität, die im Modehaus an jeder Ecke zu spüren ist, mittelfristig auf den Restaurantbetrieb übertragen? 

Auf jeden Fall. Ich glaube, wir haben schon einen Zustand erreicht. den ich mit persönlich-sympathischer Freundlichkeit umschreiben möchte. Was ich mir wünschen würde, ist, dass wir das noch ein bisschen weiter professionalisieren, dass wir noch fachmännischer zum Beispiel Weinempfehlungen zu bestimmten Essen aussprechen können, dass wir mit solchen Themen noch ein bisschen professioneller umgehen.

Ihre Mannheimer Kollegen vom Modehaus Engelhorn betreiben gleich mehrere Restaurants, darunter das mit zwei Michelin-Sternen dekorierte Opus V.  Haben Sie ähnliche Ambitionen mit dem „Obendrüber“?

Wir sind mit der Familie Engelhorn befreundet und haben uns mit ihren Konzepten beschäftigt, aber auch mit vielen anderen. Abgesehen davon, dass man mit Sternelokalen überhaupt kein Geld verdienen kann, ist es nach meiner Einschätzung so, dass Gil Delaveaux, unser Küchenchef, definitiv ein Sternekandidat sein könnte. Wir wollen das aber nicht. Die Darmstädter haben im Schnitt einen sehr hohen Bildungsgrad, sind sehr uneitel, deshalb wollen wir nicht, wie in Mannheim bei Engelhorn, eine Champagnerbar mit Goldblättchen. Das will in Darmstadt kein Mensch. Was wir wollen, ist eine gehobene Küche, ohne elitär zu wirken. Das wird nach unserer Überzeugung in Darmstadt sehr viel mehr Erfolg haben als ein Sternelokal.

Das Henschel-Küchenteam, links Chef Gil Delaveaux

Sind Sie persönlich gourmetmäßig unterwegs?

Ich bin, was Essen angeht, anspruchvoll, aber nicht überaus anspruchsvoll. In der Liga, in der ich mich wohlfühle, spielt in Darmstadt zum Beispiel das Ferrucci.

Wie sind Sie bislang mit Corona zurechtgekommen, im Modehaus und im Restaurant?

Im Gegensatz zum Einzelhandel kamen wir in der Gastronomie mit Corona im Verhältnis noch besser klar. Wir haben einfach logischer-weise nicht diese riesigen Lagerbestände. Wir machen im Restaurant ungefähr 60 Prozent des Umsatzes vom Vorjahr, auch das ist ein erheblicher Verlust. Das rührt von einer gewissen Ängstlichkeit, die auch noch da ist,  vor allem aber aus dem Thema Abstandsregelung. Wir haben einfach auch 30 Prozent weniger Plätze. In diesem Jahr werden wir mit dem „Obendrüber“ sicherlich kein Geld verdienen. Das Restaurant war aber auch nicht primär zur Gewinnerzielung gedacht. Es sollte im Zusammenspiel mit dem Haupthaus ein stimmiges Gesamtbild ergeben, um letztlich die Wohlfühl- und Aufenthaltsqualität insgesamt zu verbessern.

Warum haben Sie keinen externen Gastronomen genommen, sondern machen alles selbst? 

Das Restaurant muss zu Henschel passen. Wir hätten einem Gastro-nomen keine eigene Entfaltungs-möglichkeit lassen können. Der hätte eine Miete zahlen und ein Essen auf einem bestimmten Niveau anbieten sollen, aber mir jetzt nicht ein paar Coca-Cola-Schirme da oben hinknallen können, weil er dafür 500 Euro Provision kriegt. Das wollten wir nicht, das passt nicht zu uns, und deshalb haben wir gesagt: Das müssen wir selber machen. Ferrucci hätten wir genommen, wir haben auch mit ihm gesprochen, aber das hat nicht geklappt.  

Welchen Einfluss nehmen Sie und die Geschäftsführung jetzt noch auf das Restaurant?  

Wir haben einmal die Woche ein Meeting, die Geschäftsführung mit Küchenchef und Restaurantchef, da sprechen wir die Speisekarte ab, die Preise, die Mengen, die Events, die Aktionen, alles, was uns aufgefallen ist. Das Restaurant wird letzten Endes so geführt wie das ganz Haus, nur ein bisschen komprimierter.