Bei einem Zeitfahren der Tour de France oder anderen großen Rund‐
fahrten geht es schon lange nicht mehr nur um die Beinkraft und Ausdauer der Radprofis. Immer wichtiger sind auch ihre Maschinen geworden, die von Designern aufgerüstet werden. Bei solchen Zeitfahren sind die Profis, vor allem die, die um den Sieg kämpfen, „an der Kotzgrenze“ unterwegs, wie der viermalige Zeitfahrweltmeister Tony Martin gern drastisch formuliert. Ein Zeitfahren bestreiten er und seine Kollegen nicht auf Rennrädern wie gewohnt, sondern auf speziellen Zeitfahrmaschinen, den Raketen unter den Rädern. Ein Zeitfahrrad muss schnell sein, und damit es immer schneller wird, braucht es Experten: Ingenieure, Aerodynamiker, Designer. Es braucht CAD-Programme, 3D-Drucker, Windkanäle, Computersimulationen, Prüfstände. Viel Aufwand, viel Manpower, viel Geld.

Tomas Fiegl (Foto) ist Designer und Radliebhaber. Zusammen mit Achim Pohl leitet er das vielfach prämierte Darmstädter Design-Studio Artefakt. Seit 2006 arbeitet Fiegl als Berater für den Koblenzer Radbauer Canyon, der World-Tour-Teams ausrüstet. Dass man das Rad nicht neu erfinden kann, damit braucht man Fiegl nicht zu kommen. Was kann man schon erfinden, was schon erfunden ist? Aber man kann es verbessern, optimieren. Fahrräder kann man immer noch ein bisschen schneller machen. Und auch aus Zeitfahrmaschinen lässt sich immer noch mehr Tempo herauskitzeln. Daran arbeiten die Radfirmen, die Radprofiteams und Weltklassetriathleten mit diesen Boliden ausrüsten. Wer sich eine derartige Zeitfahrmaschine anschaffen will, muss zwischen 10000 und 15000 Euro anlegen,

Das Gewicht der Rennmaschinen spielt erstaunlicherweise keine überragende Rolle. Was Schnellmacher wie Fiegl und Canyon-Chefdesigner Lars Wagner bremst, sind Regularien. Wie bei der Formel 1. Der Weltverband, bei den Radlern ist das die UCI, gibt vor, was machbar ist, und was nicht. „Es ist ein enges Korsett, das einem manche Innovation raubt“, sagt Fiegl. Man könnte das Rad nämlich schneller bauen, so wie es früher war, ehe die UCI die Verbotsschrauben anzog. Da gab es heiße Phasen des Wettrüstens. Fiegl, der Rennräder sammelt, hat in seinem Büro in Darmstadt eine futuristisch gezeichnete Lotus-Zeitfahrmaschine an der Wand hängen, das Modell, mit dem einst Stundenweltrekorde aufgestellt wurden.

„Es gab damals nicht nur bei Rekordversuchen, sondern auch bei der Tour de France organische, skulpturale Zeitfahrmaschinen“, sagt Fiegl. Dann zog die UCI die Bremse und machte den klassischen Diamantrahmen zur Auflage. Für Fiegl eine Beschränkung, die schmerzt, „denn wir Designer sind die letzten, die sagen, alles muss klassisch bleiben“. Aber die Vorgaben hätten auch einen Vorteil, sagt Fiegl. „Sie sind der Grund, warum ein Fahr‐ rad, auch ein Zeitfahrrad, heute noch aussieht wie ein Fahrrad.“ Und der klassische Diamantrahmen, da sind sich die Designer einig, ist von der ide‐ alen Rahmenform nicht weit entfernt. „Es ist die beste Rahmenform im Sin‐ ne von Steifigkeit und Gewicht“, sagt Fiegl. „Das ist Physik, das wird man nicht besser machen können. Aber wenn es um Aerodynamik geht, kann man die Faktoren Steifigkeit und Gewicht aufweichen und ein aerodyna‐ mischeres Rad bauen. Es ist schwerer und nicht mehr so steif, aber es ist aerodynamischer und damit schneller.“ Tatsächlich spielt das Gewicht bei Zeitfahrmaschinen nicht die entscheidende Rolle. Ein Zeitfahrbolide ist etwa anderthalb Kilo schwerer als die 6,9-Kilogramm-Rennräder, mitdenen Profis „normale“ Etappen fahren. Die Schweizer Aerodynamik-Spezialisten von Swiss Side, einem Unternehmen mit Erfahrung in der Formel 1 und seit einiger Zeit Entwicklungspartner von Canyon, haben mit Computersimulationen und Messungen im Windkanal bewiesen, dass Zeitfahrräder schneller wären, würden sie an den richtigen Stellen Gewicht zulegen.

Den Grund nennt Fiegl: „Sollen Rohre dem Wind folgen, müssen sie dicker und schwerer sein, damit das Fahrrad stabil bleibt.“ Aber schwerer verkauft sich nicht gut, deshalb legen die Marketingabteilungen der Firmen Wert auf Leichtigkeit und folgen damit dem Kaufverhalten von Amateuren, aber auch der Gefühlswelt von Profis.

Designer von Zeitfahrmaschinen haben zwei Aufgaben. Die erste: Das Rad schnell machen. Die zweite: Das Rad schnell aussehen lassen. Schnell wird das Rad, wenn möglichst viele Teile aus dem Wind genommen werden. Bremsen, Züge, Leitungen. Das perfekte Rad sieht aus wie aus einem Stück.

Dass man einem Zeitfahrrad die Geschwindigkeit ansehen muss, hat psychologische Gründe. „Das muss im Stand schon fahren“, sagt Designer Wagner. „Wenn einer an der Startlinie steht, und der Konkurrent nebendran hat was Neues, sei es nur ein Code auf den Reifen oder einen neuen Lenker, dann macht ihn das fertig.“ Umgekehrt, wenn das eigene Rad Aggressivität und Schnelligkeit ausstrahlt, dann, sagt Fiegl, „bekommen wir einen Placeboeffekt, der nicht zu unterschätzen ist.“

Ob es einen Markt gibt für diese teuren Zeitfahrraketen? Aber klar, sagt Wagner. Nicht bei den Radlern, aber bei den Tri‐ athleten. Jan Frodeno und Patrick Lange, die Hawaii-Champions der vergangenen Jahre, fahren, leicht modifiziert, Zeitfahrmaschinen wie die Radprofis. Amateur-Triathleten eifern ihnen nach, sie sind eine kaufstarke Klientel. „Für Performance wird im Triathlon viel Geld ausgegeben“, sagt Wagner. „Wenn Körper aus‐trainiert sind, dann werden Extrawatt mit dem Rad gekauft.“