Es lebe die Phantasie! Roland Hotz haucht Puppen Leben ein. Und Sprache. Und Humor. Sein Kikeri-Theater ist handgemacht. Mit ihm erzählt er seine Geschichten, frech und pointiert. Er will niemanden belehren. Er will unterhalten. Das gelingt ihm auf einmalige Weise.

Ein Interview von MICHAEL EDER

Herr Hotz, ist erwachsenen Männern zu trauen, die mit Puppen spielen?
Da muss doch in der Kindheit was schiefgelaufen sein, meinen Sie? Nein. Überhaupt nicht. Es gibt tausend Wege, wie du zu deiner Kunst kommst. Die Lust an etwas entsteht aus den verschiedensten Gründen. Und dann gibt es viele Fragen: Wenn du Talent hast und es entdeckt wird, von dir selbst oder von anderen, dann entwickelt sich dieses Talent.

Wie lief es bei Ihnen?
Ich komme aus einem Künstlerhaushalt, war dadurch infiziert. Mein Vater war Conferencier, und als das Geschäft in den Sechziger Jahren mal schlecht lief, hat er angefangen, Kinderbelustigung anzu‐ bieten. Da waren auch Puppentheater dabei, die er engagiert hat. Dann hat er mal irgendwann das Gelumps von einer Puppenbühne aufgekauft, da habe ich als junger Kerl drin rumgestöbert, mit zwölf, dreizehn. Es kam hinzu: Gemalt habe ich, solange ich denken kann. Ich wollte immer der berühmteste Maler der Welt werden, mindestens. Und wenn du malst, dann beobachtest du anders, viel genauer, dann denkst du anders. Und beim Malen entstehen dann automatisch auch Geschichten.

Wer hat sie zum Malen hingeführt?
Ich habe mit drei, vier Jahren schon gemalt. Und bei uns im Haus, ganz oben in der Dachmansarde, hat ein Kunststudent gewohnt, zu dem bin ich immer hochgeschluppt und habe ihm erstmal zugeguckt und durfte ihm dann auch nachmalen. Und später bin ich eben durch Zufall, durch die Arbeit meines Vaters, zum Puppentheater gekommen und habe gemerkt, dass dieses Dreidimensionale – nichts anderes machen wir ja noch heute, einen dreidimensionalen Comic – genau das Richtige für mich ist. Ich hab gern gemalt, ich hab gern geschrieben, ich hab gern gebastelt, und auf einmal ist in diesem Medium Puppentheater alles zusammengelaufen. Das macht es so spannend und abwechlungsreich. 

War früh klar, dass Sie damit Ihren Lebensunterhalt bestreiten wollten?

Nein, überhaupt nicht. Als wir 1979 angefangen haben, hat keiner daran gedacht, das je hauptberuflich zu machen. Ich habe im Gefängnis gearbeitet, bin Buchbindermeister und habe 17 Jahre in Eberstadt die Anstaltsbuchbinderei geleitet. Das Puppentheater hat sich als Hobby nebenbei entwickelt und hat schließlich Dimensionen angenommen, die sich keiner hat vorstellen können. Das Schöne war, wir hatten keine Ziele, wir hatten Spaß und haben einfach gemacht, völlig unverkrampft. Wir haben anfangs für Kinder gespielt, ohne Interesse für Erwachsene. 

Basteln, spielen, Geschichten erfinden?

Ja, wir haben alles selbst gemacht. Das machen wir bis heute so.Wir hatten dann  ein kleines Theater im Jagdhofkeller und haben irgendwann angefangen, auch für Erwachsene zu spielen. Und dann gab es einen Tages im Jahr 1993 einen Vorverkauf, und da haben wir die Welt nicht mehr verstanden: Die Leute standen in einer langen Schlange bis zur Heidelberger Straße runter. Am Endes des Tages waren wir für ein halbes Jahr ausverkauft. Wir waren euphorisch, aber auch geradezu schockiert von diesem Andrang und vom Anspruch, den man plötzlich an uns hatte. Die Frage war dann: Gehen wir diesen Weg mit, den man von uns offenbar erwartet? Wir hatten einen Wagen auf die Schienen gesetzt und angeschoben, und jetzt war er losgefahren mit großem Tempo. Dann musst du entweder mitfahren oder aussteigen. Da gibt es keine dritte Möglichkeit. Wir sind mitgefahren. Zwei Jahre später haben wir dann schon das viele größere Haus übernommen, in dem wir jetzt noch sind, die Comedy Hall. 

Wie viele Leute waren das damals 1993, als das Interesse plötzlich explodierte?

Wir waren damals fünf Spieler, heute sind wir elf. Seit 2005 spielen wir mit zwei Gruppen. Mein Sohn Felix macht eine Gruppe, die andere mache ich. Wir haben eine Regisseurin, zwei Musiker.

Welche Art von Theater wollen Sie machen? Was ist der Kern all ihrer Geschichten?

Wir wollen Puppentheater spielen. Wir wollen aber auch Comedy machen, wir wollen neue Puppenformen und Spielarten entwickeln, wir wollen die Leute unterhalten, wollen nicht zu dumm, zu albern daherkommen, wir wollen ein gewisses Niveau haben, wollen teilweise sehr frech sein, sehr direkt. Es muss unserem Stil entsprechen.

Gibt es einen vergleichbaren?

Nein. Wir haben ihn auch nicht erfunden. Er hat sich entwickelt über die Jahre. Es wäre anmaßend von mir zu sagen, das und das habe ich so geplant, wie es gekommen ist. Gar nichts habe ich geplant. 

Roland Hotz in seiner Werkstatt

Wir unterhalten uns im Oktober. Sind Sie halbwegs gut durch Corona gekommen bislang?

Nein, gar nicht. Wir hatten beim Ministerium für Wissenschaft und Kunst angefragt, ob wir Unterstützung bekommen. Die Antwort war nein. Die Instution Comedy Hall ist gefährdet. Das ist ein Riesenapparat, den wir hier am Leben halten wollen. Er bietet Arbeitsplätze, ist am Ende aber nicht wirtschaftlich. Es geht hier tatsächlich um Millionen, wenn man das ganze Jahr nimmt. Aber wir haben 200 000 Euro feste Kosten im Monat. Da hängt das ganze Kikeriki-Theater dran, das sind elf Leute, in der Comedy Hall sind es dreizehn Festangestellte, dazu fünfzig Aushilfen. Wir haben noch nie Zuschüsse für die Comedy Hall bekommen, in 25 Jahren keinen Pfennig, keinen Cent, wir wollten aber auch nichts. Jetzt bräuchten wir Hilfe, aber jetzt interessiert sich keiner für uns.  

Was ist mit Kurzarbeit? 

Haben wir gemacht. Damit sind es noch 70 000 Euro Fixkosten, aber das ist immer noch ein hoher Betrag.  Jetzt müssen wir noch mit der Stadt reden. Mal sehen, was wir ihr wert sind.

Wie haben Sie die Comedy Hall und ihre Gastronomie mit dem Kikeri-Theater verknüpft?

Eigentlich ist beides eine Sache.  Aber wir haben es aus rechtlichen Gründen damals getrennt. Die Comedy Hall ist eine GmbH, das Kikeriki ist eine Einzelfirma. Wenn man es sich wie einen Zirkus vorstellt, dann stellt das Haus das Zelt, und das Kikeriki spielt in der Manege. 

In normalen Zeiten verdienen Sie Ihr Geld mit Erwachsenen. Sie machen aber auch noch Kindertheater.

Wir erlauben uns gewisse Dinge, und so haben wir einen eigenen Raum nur für Kinder. Die Entwicklung von Kinder und Jugendlichen ist mir ein großes Anliegen. Das hängt damit zusammen, dass ich im Knast gesehen habe, wo eine Fehlentwicklung hinführen kann – wobei man besser öfter die Eltern eingesperrt hätte als die Kinder. 

Welcher Art sind Ihre Kinderstücke?

Wir machen für Kinder bis heute sehr märchenhafte, phantasievolle Stücke, für die man uns teilweise aus der Szene belächelt. Weil heute musst du ja eigentlich modern sein. Musst die Probleme den Kindern nahe bringen. Aber wir würden nie eine Figur zeichnen, die am Anfang gut ist und am Ende böse. Aber das ist ganz in heute, die Vielschichtigkeit, dass das Kind merkt, im Bösen steckt was Gutes, im Guten steckt was Böses. Dass das Kind bloß kein Vertrauen zur Oma mehr hat, könnte ja auch eine Hexe sein. Wir machen es anders. Wir spielen unsere Phantasiegeschichten für Drei- bis Siebenjährige und sind immer ausverkauft. 

Eine gute Nachricht: Phantasiegeschichten sind noch nicht ganz verloren in unserer Gesellschaft?

Ja, die Pflege dieser alten Volkskunst des Puppenspiels liegt uns auch als Alternative zum Digitalen, Medialen unserer Zeit am Herzen. Wir nehmen im Kindertheater noch heute fünf Euro Eintritt, nicht mehr, weil wir der Meinung sind, dass für eine Familie, die zu viert zu uns ins Kindertheater kommt, zwanzig Euro viel Geld ist. Dadurch, dass das Erwachsenentheater so gut läuft, können wir das machen. Eigentlich ist das mittlerweile ein Hobby für uns. Aber wir sehen es als unsere Aufgabe, die Kinder auch ein bisschen anders zu befruchten, als sie es gewohnt sind. Vielleicht sind wir für die Kleinen auch ein Einstieg für die Lust am Theater. Spielfreude bringt jedes Kind mit. Jedes Kind ist Puppenspieler. Jedes Kind spielt Geschichten vor, animiert tote Gegenstände, erweckt sie zum Leben, Puppen, Playmobilmännchen, Spielzeugautos – das ist alles Puppentheater. 

Auch Ihr Erwachsenenprogramm ist gewöhnlich auf Monate hinaus ausgebucht. Warum faszinieren Sie mit Ihren Puppen auch ältere Semester?

 Als wir anfingen, auch für Erwachsene zu spielen, hat man uns belächelt und für verrückt erklärt. Ich hab gesagt: Wartet mal ab. Der Erfolg hat uns recht gegeben, und wir sind sehr stolz darauf, dass wir eine so uralte Kunst, die bei uns eigentlich abgehakt war, wieder ins Rampenlicht bringen konnten. Dass man auf das Puppentheater herabschaut, das ist ein rein deutsches Problem. Rundherum in Europa ist es hoch angesehen. In Deutschland gibt es Unterhaltung und ernste Kunst, U und E. Und Puppentheater ist halt Kindertheater, Kasperheater, fertig. So ist es aber nicht. Puppentheater kann auch für Erwachsene beste Unterhaltung sein. Darum geht es  im Theater, um Unterhaltung. Viele meinen ja, Theater sei ein Bildungsinstitut, halte ich für lächerlich, weil die Leute, die ins Staatstheater gehen, die haben Bildung, die brauchst du nicht zu bilden. Und die man bilden müsste, die will man gar nicht haben. Im Kikeri haben wir keinen Bildungsauftrag. Wir machen Unterhaltung, Komödie, Comedy, Mundart, wir arbeiten viel mit regionalen Bezügen. Im Prinzip haben wir uns zu einem Volkstheater entwickelt. Bei uns sitzen in den Vorstellungen drei Generationen am Tisch und lachen über eine Sache, wo hast du das noch?

Wo kommt eigentlich dieses südhessisch Schlappmaulmäßige her, das in Ihrem Theater eine große Rolle spielt?

Karl Valentin ist in Darmstadt gezeugt worden. Seine Eltern haben im Watzeviertel gewohnt, ehe sie nach München gezogen sind. Ich habe immer das Gefühl, in seinem Humor steckt viel Darmstädter Humor. Woher der kommt? Ich glaube, da spielt die Entwicklung des Großherzogtums eine große Rolle, auch der britische Einfluss, wir haben hier schon einen fast britischen Humor teilweise. Ich hab als Kind immer den Alten zugehört, ihrem Dialekt und was sie für Sprüche losgelassen haben. Was auch wichtig ist im Zusammenhang mit diesem speziellen Humor: Darmstadt ist eine künstliche Stadt, so wie Karlsruhe. Eine natürlich Stadt ist Frankfurt. Die hat einen Fluss, eine Furt, ein logischer Platz für eine Siedlung. Darmstadt hat nichts dergleichen. Es gab keine Grund, an dieser Stelle eine Stadt zu gründen. Es gab nur einen Wildhüter, dann eine Burg, dann irgendwann das Schloss. Und alle, die darum waren, waren nur Zuträger. Alle haben mehr oder weniger für die Großherzoge gearbeitet. Dann die ganzen Ämter, die Beamten. Dazu ein starker Bezug zur Kultur, weil die Großherzoge, das gefördert haben. Es gab insgesamt eine devote Haltung der Obrigkeit gegenüber, wie heute ja auch noch.  Anders war es dann am Stammtisch, ei horschemol, da konnt ma schimpfe. Und sich mal vollsaufe, und am nächsten Tag wieder durch die Orangerie laufen und sagen, oh wie wunderschön ist die Welt. Das alles macht die Mentalität dieser Stadt aus, und deshalb ist sie auch besonders. 

Besonders?

Ja, in ganz vieler Beziehung. Liegt mitten in Europa, mitten in Deutschland, in der Nähe einer Metropole, Frankfurt, in der Nähe eines Flughafens. Dann einerseits Jugendstil, andererseits Esoc und Eumetsat, Tradition und Zukunft. Genial. Aber jetzt kommt der springende Punkt.

Lassen Sie hören.

Die Stadt kann das alles nicht richtig vermarkten, konnte es noch nie. Noch nie. Das verstehe ich nicht. Für viele, sogar in Hessen, ist Darmstadt eine Autobahnausfahrt. Eine Autobahnausfahrt, die sie nie benutzen. Was ich auch immer feststelle: Der Stadtgeist fehlt in Darmstadt. Früher gab es ihn. Er ist abhanden gekommen. Ein Stadtgeist kommt heutzutage zwangsläufig schnell abhanden durch die Mobilität der Menschen. Da kann er nicht mehr so bewahrt werden wie vor hundert Jahren, wo es kaum Fluktuation gab. Man müsste deshalb umso mehr an diesem Geist arbeiten. Die Kerbe in einigen Stadtteilen sind noch so ein Stück Stadtgeist. Einfach, volksnah, von Bürgern für Bürger, ohne die üblichen kommerziellen Hintergedanken. Aber auch das wird nicht sonderlich gefördert in der Stadt. Wenn die Straßenbahn wegen dem Umzug umgeleitet wird, musst du bezahlen. Und so gibt es vieles. Wir haben kein Stadtmuseum, auch weil viele Entscheidungsträger heute keine Darmstädter mehr sind. Mit den Pfunden, die wir hier haben, wird nichts angefangen. Dass man nicht mal zumindest alle vier Jahre ein Darmstädter Jugendstilfest macht, dass die Hütte kracht! Das hätte europaweite Resonanz. Oder Jazz, auch das ein ganz besonderes Thema in Darmstadt, das könnte man richtig geil ausarbeiten. Und dann hätte man mit Fraunhofer Institut, Eumetsat, Esoc einen Gegenpart. Warum macht man nicht im Sommer 14 Tage lang aus Darmstadt ein riesiges Kunst-Kultur-Wissenschaftszentrum? Tagsüber stellen sich alle große Firmen vor, machen ein Programm, wo Menschen kommen können und sich informieren, wo es Kurse gibt. Und abends gefeiert wird in der ganzen Stadt, mit Jazz und Kunst auf der Straße. Und die letzten vier der vierzehn Tage dann: Heinerfest. Da könnte man ein Ding draus machen! 

Dafür bräuchte man ein paar Visionäre im Stadtmarketing. 

Wenn du Visionär bist in dieser Stadt, wirst du ausgelacht. Unser Stadtmarketing? Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Da gehörten Profis hin, richtige Profis, die auch die Stadt verstehen. Ich hatte mal die Idee einer Kulturmeile. Vom Langen Lui bis zum Oberwaldhaus. Da kommst du am Schloss vorbei, am Landesmuseum, am Fraunhofer Institut, Mathildenhöhe, Rosenhöhe. Da bräuchtest du nur eine kleine Fibel und ein paar Schilder, und hättest eine tolle Möglichkeit geschaffen. 

Die Mathildenhöhe: Auch daraus könnte man viel mehr machen, als sich das Darmstädter Citymarketing vorstellen kann, meint Roland Hotz.

Zurück ins Theater. Wie geht’s weiter in Zeiten von Ccorona?

Wir hatten Anfang September wieder angefangen mit 150 Gästen im Theater statt mit 220, um den Abstand einzuhalten. Das funktionierte ganz gut bis zum Lockdown im November. Wir hatten auch noch viele Auswärtstermine. Oft in Hallen mit 500, 600 Leuten, aber auch wenn da  nur noch 200 kommen durften, spielten wir trotzdem.

Ihr Sohn ist  zu einem wichtigen Partner in Ihrem Theater geworden. Ein gutes Gefühl, dass Ihr Lebenswerk weitergeführt werden wird? 

Das hat sich so entwickelt. Das ist schön, dass es weitergeht, toll. Aber wenn es zu Ende gegangen wäre mit meinem Ende, dann wäre es auch gut gewesen. Ich bin keiner, der sagt, das ist ein Heiligtum, das muss für immer erhalten bleiben. Ich bin Realist. Alles hat seine Zeit. Man muss sich selbst nicht so unwahrscheinlich wichtig nehmen.